Europäischer Abend„Verteidigungsbereitschaft nicht nur militärisch denken“
Der dbb-Chef Volker Geyer setzt sich dafür ein, Sicherheitspolitik möglichst breit zu verstehen – auch im öffentlichen Dienst.
Dazu erklärte der dbb Bundesvorsitzende Volker Geyer am 9. Dezember 2025 zur Eröffnung des Europäischen Abends (Thema: „Sicherheit für Europa. Wie verteidigungsbereit sind wir?“) in Berlin: „Warum wir über Verteidigungsbereitschaft anders als bisher sprechen müssen, zeigt beispielsweise ein Ereignis im Oktober dieses Jahres: Der Flugbetrieb am Berliner Flughafen wurde für zwei Stunden unterbrochen, nachdem eine Drohne über dem Gelände gesichtet wurde. Flüge wurden umgeleitet, Sicherheitskräfte aktiviert. Am Ende sprachen die Verantwortlichen von einem ‚Weckruf‘. Das verdeutlicht die Verwundbarkeit unserer kritischen Infrastruktur. Wir brauchen eine schnelle, koordinierte und rechtssichere Zusammenarbeit zwischen Behörden, Sicherheitsakteuren und privaten Betreibern. Die Grenzen zwischen Normalbetrieb und Krisenmodus verschwimmen.“
Es gehe nicht darum, Alarmstimmung zu verbreiten oder außergewöhnliche Maßnahmen zu normalisieren, betonte Geyer: „Es geht darum, moderne Rechtsgrundlagen zu schaffen, Verantwortlichkeiten klarer zu ordnen, europäische Vorgaben sinnvoll einzubeziehen und dafür zu sorgen, dass Beschäftigte eingebunden und geschützt werden. Der Staat muss auch in außergewöhnlichen Lagen handlungsfähig bleiben, ohne seine rechtsstaatlichen Grundsätze aufzugeben. Deshalb müssen wir Verteidigungsbereitschaft nicht nur militärisch denken. Sie beginnt in den Verwaltungen, in den Gesundheitsämtern, in der Verkehrssteuerung, in den kommunalen Einrichtungen, in den digitalen Lagezentren – überall dort, wo Beschäftigte des öffentlichen Dienstes den Staat auch unter schwierigen Bedingungen funktionsfähig halten.“
Zivile Wehrverwaltung muss wachsen
Oberstleutnant i.G. Dr. Detlef Buch, Fachvorstand im Deutschen BundeswehrVerband (DBwV), warb dafür, als Spitzenverbände beim Thema „Aufwuchs“ an einem Strang zu ziehen: „Die personellen Herausforderungen im öffentlichen Dienst und in der Bundeswehr werden dbb und DBwV nur gemeinsam bewältigen.“ An die Bundesregierung appellierte Buch, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur amtsangemessenen Alimentation von Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richtern sowie Soldatinnen und Soldaten endlich umzusetzen. Das Gericht hat die im Jahr 2020 festgelegten Maßstäbe für die Prüfung der Amtsangemessenheit der Besoldung weiterentwickelt und ist in einer aktuellen Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Besoldung fast aller Landesbeamten in Berlin im Zeitraum von 2008 bis 2020 zu gering und damit verfassungswidrig gewesen ist. Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine über Berlin hinaus wirksame Grundsatzentscheidung zur amtsangemessenen Alimentation getroffen und neue Maßstäbe dafür gesetzt, wie Verstöße zu prüfen sind. Die Umsetzung sei nicht nur eine Frage der Besoldungsgerechtigkeit, sondern würde auch die Attraktivität der Streikkräfte erhöhen, so Buch.
Imke von Bornstaedt-Küpper, Bundesvorsitzende des Verbands der Beamten und Beschäftigten der Bundeswehr (VBB), unterstrich in ihrem Impulsvortrag die Bedeutung der Verwaltung für die Verteidigungsbereitschaft: Der geplante Aufwuchs der Streitkräfte werde zwangsläufig mit einem Aufgabenzuwachs in der zivilen Wehrverwaltung und einer entsprechenden Anpassung des Personals verbunden sein. „Die Bundeswehrverwaltung ist bewusst nicht Teil der Armee, sondern der zivile Unterbau, auf dem militärische Handlungsfähigkeit erst entstehen kann. Sie beschafft das Material, sie gewinnt das Personal, sie organisiert die Unterkunft und Versorgung – kurzum, sie schafft die Voraussetzungen, damit die Streitkräfte ihren Auftrag erfüllen können. Eine starke Truppe braucht ein tragfähiges Fundament – das ist die zivile Bundeswehrverwaltung“, so die VBB-Chefin.
Abschreckung durch Stärke
Jasper Wieck, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), skizzierte die sicherheitspolitische Lage und machte mit Blick auf Russland klar: „Es geht ihnen nicht nur um die Ukraine. Die Russische Föderation ist zutiefst revisionistisch und will zurück zu sowjetischer Größe.“ Das gehe einher mit Aufrüstung, Desinformationen und Provokationen gegenüber der NATO. Deshalb, so Wieck, sei klar: „Wir müssen militärisch so stark sein, dass sich für Russland ein Angriff nicht lohnt, weil das Risiko zu groß ist, den Kürzeren zu ziehen.“
Die Co-Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Franziska Brantner, machte in der Diskussion deutlich, dass Deutschland und Europa ihre Sicherheitsstrukturen umfassend modernisieren müssen, und skizzierte die sicherheitspolitischen Herausforderungen: „Wir sind noch nicht gut genug. In Katastrophenschutz, Nachrichtendiensten und der Modernisierung staatlicher Strukturen gibt es Fortschritte, doch sie werden bislang nicht ausreichend miteinander verzahnt.“ Eine abgestimmte Gesamtstrategie sei notwendig, um auf komplexe Bedrohungslagen angemessen reagieren zu können. Mit Blick auf die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA betonte Brantner zudem die gestiegene Eigenverantwortung Europas: „Man kann den Amerikanern nicht vorwerfen, dass sie uns nun sagen: ‚It‘s up to you.‘“ Europa müsse diese Botschaft ernst nehmen und die eigenen Strukturen entschlossen stärken.
Podium: Sicherheitsstrukturen stärker verzahnen
Brantner forderte außerdem eine präzisere Sprache: „Hybrider Krieg – das ist Sabotage. Und Desinformation ist Lüge und Manipulation. Wir sollten die Dinge klar benennen. Das ist der erste Schritt hin zu einer resilienten Zivilgesellschaft.“ Und weiter: „Resilienz entsteht, wenn wir die Mechanismen moderner Einflussnahme erkennen und ihnen selbstbewusst begegnen.“ Brantner warnte zudem vor politischen Kräften, die Verantwortung ablehnen: „Wer sich als patriotisch bezeichnet, aber zentrale staatliche Strukturen ablehnt oder schwächt, trägt nicht zur Sicherheit dieses Landes bei.“ Sie betonte: „Wir stehen vor großen Aufgaben. Jetzt liegt es an uns, diese Herausforderungen entschlossen anzugehen. Wir kriegen das hin.“
Jasper Wieck bewertete den Inhalt des neuen Strategiepapiers der USA in diesem Kontext als nicht überraschend: „Die USA sehen eine große Herausforderung auf sich zukommen. Und die heißt nicht Russland, sondern China. Europa soll sich allein gegen Russland verteidigen und den USA den Rücken für ihren Konflikt mit China freihalten. Die Amerikaner sagen Europa gewissermaßen: ‚Get your act together‘.“ Die Annahme der USA, es mit isolierten Konflikten zu tun zu haben, sei aber falsch: „Wir müssen ihnen klarmachen: Die Schauplätze werden zusammenwachsen, Russland wird sich einmischen. Wir sind daher gut beraten, uns mit den USA zusammenzusetzen.“ Wer untätig bleibe, werde zum Spielball der Machtpolitik.
Für die Zukunft zeigte sich der Ministerialdirektor jedoch optimistisch: „Wir sind in vielerlei Hinsicht reifer geworden. Ich sehe Deutschland auf einem guten Weg, die Verteidigung zu stärken.“ Die EU schaffe schon jetzt Möglichkeiten, ihre Streitkräfte gemeinsam zu entwickeln. Allerdings gehe es um Effizienzsteigerung ohne Duplizierung. „Langfristig brauchen wir eine Vision, die nicht in einer Rüstungsspirale endet. Aufrüsten allein darf nicht unsere Zukunft werden. Die Logik der kooperativen Zusammenarbeit muss irgendwann wieder zurückkommen.“
„Entscheidungen, die Europa betreffen, müssen von Europa und für Europa getroffen werden“, verdeutlichte Benjamin Hartmann, Experte im Kabinett des EU-Verteidigungskommissars Andrius Kubilius, mit Blick auf die Gespräche zwischen Washington und Moskau. „Unsere finanziellen Aufwendungen in der EU sind beträchtlich. Wir haben eigentlich allen Grund zur Stärke.“ Die EU habe bereits verschiedene Strategiepapiere zur Verteidigung der Zukunft veröffentlicht. Darin gehe es unter anderem um äußere Sicherheit, Cyberabwehr, Preparedness der Zivilbevölkerung und einen Schutzschild für die Demokratie. Denn: „Die hybriden Attacken der vergangenen Monate sind nichts anderes als Angriffe auf unseren politischen Willen, uns zu verteidigen.“
Da die Angriffe auf europäische Infrastruktur koordiniert erscheinen, müssten für eine erfolgreiche Verteidigung auch verschiedene Bereiche zusammengedacht werden: „Wir sind gut beraten, ein gemeinsames Lagebild auf EU-Ebene zu erstellen“, schlug Hartmann vor. „Wir brauchen mehr Vernetzung und den Austausch von Best-Practice-Anwendungen.“ Denkbar seien auch Formate mit kleinen Gruppen von Mitgliedstaaten, die je nach Thema in unterschiedlicher Zusammensetzung vorangehen. Ein großes Problem der EU sei die mangelnde Geschwindigkeit. Hartmann appellierte daher: „Geschwindigkeit ist keine Zeitleiste, sie ist eine Verteidigungskapazität.“
Claudia Major, Senior Vice President für Transatlantische Sicherheitsinitiativen des German Marshall Fund, nahm dezidiert Stellung zur Anfang Dezember veröffentlichten neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA: „Das sind die Scheidungspapiere. Das Konzept kodifiziert, was die USA nach Trumps Amtsantritt gesagt und getan haben.“ Es trage Züge von Herablassung gegenüber Europa und zeige, was Trump mit „Western Hemisphere“ meine: die USA selbst. „Unsere Lebensversicherung – die NATO – ist nicht mehr garantiert“, schlussfolgerte Major, die Mentalität in Europa müsse sich wandeln und auf Selbstverteidigung setzen. „Und das muss schneller gehen“, so Major.
Gleichzeitig zeigte sie sich von der guten Organisation des weltweit größten Sicherheitsbündnisses NATO überzeugt. Auf EU-Ebene müsse jedoch die Kooperationsfähigkeit bei Forschung, Entwicklung, technischer Umsetzung und Rüstungseinkauf verbessert werden. Auch Major nahm zu den zahlreichen hybriden Angriffen auf Europa Stellung, bei denen es darum gehe, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu unterminieren. „Das geht an das Herz der offenen Gesellschaft!“ Anstelle einer Rückkehr zur Wehrpflicht favorisiert Major eine übergreifende Dienstpflicht für alle und unterstreicht: „Die Frage ist, wie viel ist mir dieses Leben in einer offenen und demokratischen europäischen Gesellschaft wert?“
In ihrer Videobotschaft unterstrich Andrea Wechsler, Präsidentin der Europa-Union Deutschland und Mitglied des Europäischen Parlaments: „Europa steht an einem Wendepunkt.“ Und weiter: „Unsere Sicherheit können wir nur gemeinsam gewährleisten.“ Gleichzeitig machte sie sich für eine gemeinsame europäische Armee stark. Rainer Hub, Vorsitzender des Sprecher*innenrates des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) sagte als Mitveranstalter des Abends: „Was wir brauchen, ist eine Allianz der Zuversicht für unser aller Zusammenhalt.“ ada, dsc, ef, wer


